Die archäologische Untersuchung in Hannover am „Hohen Ufer“

Anlass der Untersuchung

Abb_1

Abb. 1 Grabungsfläche (rot markiert)

Die Neubebauung des nach dem 2. Weltkrieg unbebaut gebliebenen Flurstückes 8/4 zwischen Leineufer, Roßmühle und Burgstraße durch die Helma Wohnungsbau GmbH war Anlass für die von der UDSchB der Stadt Hannover und dem NLD, Regionalteam Hannover, beauflagte bauvorbereitende archäologische Untersuchung. Das Flurstück umfasst die im Stadtkataster von 1938 verzeichneten Grundstücke Burgstraße 33 und 34 sowie Roßmühle 1-4 (Abb. 1). Damit fanden seit den Ausgrabungen am Bohlendamm 1983-1987 (Atzbach 1994) erstmals wieder Ausgrabungen im Altstadtkern Hannovers statt.

Die mittelalterliche Stadtgeschichte Hannovers

Hinweise zur frühen Stadtentwicklung Hannovers basieren mehrheitlich auf archäologischen Informationen. Historische Belege sind nur spärlich vorhanden. In den Schriftquellen wird ein “vicus Honovere“ erstmals in den Ende des 12. Jh. verfassten Miracula Sancti Bernwardi (MGH SS 4, 783) erwähnt. Älter ist nur die Erwähnung des Ortes Tigiflege/Tigislehe in der im 10. Jh. erstellten Beschreibung des Grenzverlaufes der Bistümer Minden und Hildesheim (Janicke 1896, 40, 51). Tigislehe wurde in der älteren Forschung als einer der Siedlungskerne im Osten der Hannoverschen Altstadt angesehen. Diese Verortung gilt aufgrund nicht ausreichend aussagekräftiger archäologischer Befunde mittlerweile als sehr unsicher, für eine Besiedlung des Gebietes sprechen aber im ganzen Altstadtgebiet verteilte Keramikfunde des 10. und 11. Jh. (Büscher 1993, 106, 109f.). In der zweiten Hälfte des 12. Jh. erscheint Hannover konkreter in den Schriftquellen. Heinrich der Löwe urkundet anlässlich des Hoftages 1163 in der Stadt (UB Hann, Nr. 1), 1189 wird die civitas hanovere von ihm in Brand gesteckt (MGH SS XVI, VIII, 222). Die Zugehörigkeit Hannovers zum welfischen Herrschaftsraum wird durch die Errichtung der Burg Lauenrode spätestens 1215 auf einem Leinewerder nordöstlich der Stadt verdeutlicht (UB Hann, Nr. 4). Den Rechtsstatus und die Privilegien der Stadt bestätigt Herzog Otto das Kind 1241. Die Urkunde enthält ebenfalls Aussagen zur Stadtbefestigung, auf die im Weiteren noch gesondert eingegangen wird (UB Hann Nr. 11, 56). Die archäologischen Funde und Befunde der von Plath durchgeführten Grabungen sprechen für eine wirtschaftliche und demographische Prosperität der Stadt in diesem Zeitraum (Plath 1961). Die Blütezeit erreichte Hannover in der zweiten Hälfte des 14. Jh. 1368 trat die Stadt der Hanse bei und emanzipierte sich von der welfischen Landesherrschaft. 1371 bemächtigte sich die Bürgerschaft als askanischer Parteigänger im Lüneburger Erbfolgestreit der Burg Lauenrode und zerstörte sie. Bis ins 16. Jh. blieb Hannover weitestgehend autonom gegenüber der Landesherrschaft. Mit deren Erstarken und der Verlegung der Residenz der Herzöge von Calenberg-Göttingen 1663 nach Hannover endete die Unabhängigkeit und auch die wirtschaftliche Blüte der Stadt (Atzbach 1994, 2.1).

Abb. 2 Rekonstruktion des Altstadtgebietes um 1350 (grün = Lehnhofsiedlung, rot = Grabungsfläche

Abb. 2 Rekonstruktion des Altstadtgebietes um 1350 (grün = Lehnhofsiedlung, rot = Grabungsfläche

Das Untersuchungsgebiet war im Besonderen hinsichtlich zweier Gesichtspunkte für die Stadtgeschichte Hannovers von Bedeutung. Seit dem Beginn der Hannoverschen Stadtgeschichtsforschung mit dem Erscheinen der Origines et Antiquitates Hanoverenses 1740 (Grupen 1740) gilt der östlich der Grabungsfläche gelegenen Gallhof zusammen mit den Grundstücken entlang der Burgstraße nördlich der Roßmühle als einer der Nuklei der Stadt Hannover – in dem Fall das suburbium zur an den Anfang des 12. Jh. datierten Burg Lauenrode. Basierend auf der Mitte des 14. Jh. in Quellen erwähnten curie/curia sancti Galli (Büscher 1993, 97) entwickelten sich im 20. Jh. aufbauend auf Schuchhardts Hypothesen verschiedene Vorstellungen zur Existenz eines mit der Burg in Zusammenhang stehenden Herrenhofes an dieser Stelle. Schuchardt selbst sah in ihm eine karolingische curtis als Vorläufer der Burg, was aufgrund der erstmalig in einer Quelle von 1449 überlieferten Zugehörigkeit als Wirtschaftshof zur St. Gallen Kapelle der Burg wenig wahrscheinlich ist (Büscher 1993, 98).

In der lokalhistorischen Forschung zur Stadtgeschichte Hannovers des frühen 20. Jh. konstruierte man an der Burgstraße einen königlichen Lehnshof (Büscher 1993, 99) aus Schuchardts Verwendung des im Burgenforschungskontext stehenden curtis-Begriffs zur Umschreibung des Hofes und dem falsch interpretierten, der Urkunde Heinrichs des Löwen zum Hoftag 1163 entnommenen Satz „Testes sunt viri, qui curie nostre Hanovere intereant…“ (UB Hann, Nr. 1). Erst mit der auch auf archäologischen Untersuchungen basierenden Forschungstätigkeit Helmut Plaths verlor die Rekonstruktion eines karolingischen vicus am Gallhof an Bedeutung. Weiterhin bestehen blieb die Theorie von dem Lehnshof des 10. bis 12. Jh. Dass im 15. und 16. Jh. Grundstücke an der Westseite der Burgstraße im Hausbuch der Stadt von 1428 als z. B. „der v. Lenthe lengut“[1] vermerkt sind (Leonhardt 1941, 186-189), galt als Beweis für die Existenz dieser Höfe. Fragen zur Datierung, Gestalt und Funktion blieben aber weiter offen. Die Existenz im 10./11. Jh. ist in keiner Weise durch Schriftquellen belegt. Plaths Ausgrabungen auf dem Ballhofplatz erbrachten zwar den Nachweis von Besiedlungsspuren dieser Zeitstellung, charakteristische Befundstrukturen eines möglicherweise befestigten Hofes zeigten sich jedoch nicht (Büscher 1993, 101ff.; Plath 1961, 186ff.). Ebenfalls spekulativ blieb die Funktionszuweisung des vermeintlichen Lehnshofes, die sich von der Bedeutung als Keimzelle Hannovers hin zu einer mit Schutzfunktionen für einen ebenfalls nur vermuteten Leineübergang in Verlängerung der Roßmühle sowie einem Handelsweg mit „seit urgeschichtlichen Zeiten europäischem Rang“ versehenen Anlage wandelte (Büscher 1993, 103ff.). Auch mit den zahlreichen, wenn auch meist kleinräumigen archäologischen Untersuchungen im Umfeld des Gallhofes gelang es Plath nicht, konkrete Nachweise des Lehnshofes zu erbringen. Siedlungspuren des 10./11. Jh. sind zwar sporadisch vorhanden, eine intensivere Nutzung des Areals im Quartier um den Gallhof ist aber erst ab dem 12./13. Jh. nachweisbar (Büscher 1993 101ff.).

Eine weitere zentrale Fragestellung betraf den Charakter und Verlauf der Stadtbefestigung Hannovers, welche in unmittelbarer Nähe durch den Beginenturm eindrucksvoll repräsentiert wird, durch den Bau des Zeughauses 1643 im weiteren Verlauf nach Norden jedoch nicht mehr nachvollziehbar war. Auf Basis der historischen Quellen ist die Stadtbefestigung kaum rekonstruierbar. Ein Urkundenbeleg zur Erstbefestigung existiert nicht. Erst 1241 in einer Bestätigung der städtischen Rechte durch Herzog Otto das Kind wird die Existenz einer Befestigung angedeutet (UB Hann Nr. 11, 56). Die Termini „extra“ und „intra murros“ erscheinen dann in Urkunden der 2. Hälfte des 13. Jh. Präzisiert wird dies erst im Privileg Herzog Wilhelms von 1357, welches dem Rat gestattet, Hannover mit Mauer und Graben zu befestigen, dies jedoch nicht gegenüber der herzoglichen Burg (UB Hann Nr. 369). Eine der Kernfragen im Vorfeld der Grabung war somit der Nachweis und wenn möglich die chronologische Verortung von im Kontext des Lehnshofes und der Stadtbefestigung stehender archäologischer Substanz.

[1]           Bezogen auf das Grundstück Ecke Burgstraße/Roßmühle, auf dem die archäologische Untersuchung durchgeführt wurde. Freundlicher Hinweis von M. Schormann, M.A. aufbauend auf dem Vortrag am 11.12.2013.

Die topografischen, geologischen und bodenkundlichen Voraussetzungen

Abb_3

Abb. 3 Bodenübersichtskarte 1:50.000, roter Punkt: Lage der Grabungsfläche am Hohen Ufer (Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, 2014; aus: Niemuth 2015)

Die Stadt Hannover liegt am Übergang von der norddeutschen Tiefebene zum niedersächsischen Berg- und Hügelland (Leonhardt 1927, 1) in einer Landschaft, die während der letzten Eiszeit durch die Leine und ihre Nebenarme stark geprägt wurde, welche hier bis zu 6-8 m mächtig Lockergesteinsschichten – Sande und Kiese – ablagerten (Rhode/Platen 1998, 40). Das hochmittelalterliche Altstadtgebiet Hannovers, an dessen westlicher Peripherie die untersuchte Fläche lag, erstreckt sich auf der die Leine in ihrem Lauf von Südost nach Nordwest begleitenden Niederterrasse. Der hochwasserfreie, östlich des heutigen Leineverlaufs gelegene Niederterrassenbereich baut sich aus quarzreichen, dystrophen (basenarmen) Sanden auf, die unter teilweise nur 0,25 m mächtigen, als Braunerden klassifizierten Humusböden anstehen (vgl. Abb 3; Niemuth 2015). Die Schichtgrenze zwischen den anstehenden Sanden und dem darüber liegenden Humushorizont (Befund 1/199/224/305) verlief von der Burgstraße Richtung Osten auf ca. 30 m zwischen 54,01 und 54,12 m NN. Auf weiteren 35 m nach Westen ist dann ein leichter Anstieg der Niederterrasse auf 54,70 m NN zu beobachten.

dig, auf die logistischen Erfordernisse der die Grabungsfläche ebenfalls nutzenden Sanierungs-/Ausbaumaßnahmen der Volkshochschule Rücksicht zu nehmen. Zusätzlich mussten im Ablauf der Grabung Abraumtransportwege und Lagerflächen für das vor der Entsorgung auf Belastung zu beprobende Aushubmaterial freigehalten werden.[1] Hierbei wurden als Abraumlagerfläche 200 m2 in der Südwestecke des Untersuchungsgebietes genutzt. Unter diesen Rahmenbedingungen beschränkte sich die Ausgrabung zunächst auf die Südhälfte der Grabungsfläche. Nach vollständiger Untersuchung dieses Bereichs und Anlage der Baugrube in der Südostecke wurde dieser ca. 400 m2 große Bereich als Abraumlager genutzt. Im nördlichen Teil der Fläche konnte ab dem 16.10.2013 mit der Untersuchung begonnen werden, da alle notwendigen Arbeiten der Nachbarbaustelle jetzt abgeschlossen waren. Der Flächenaufschluss des Nordteils begann ebenfalls an der Burgstraße und wurde nach Westen fortgesetzt.

[1]              vgl. A. Morgenroth, Baugrunduntersuchung für das Wohnprojekt „Am Hohen Ufer“, 3.2

Die Befunde und Stratigrafie- eine allgemeine Übersicht

Bei den weiteren Beschreibungen und Interpretationen werden zur einfacheren Lokalisierung Grundstücksbezeichnungen verwendet, die sich auf das Stadtkataster von 1938 beziehen.

Ca. 38 % der Grabungsfläche waren durch die (früh-)neuzeitliche Wohn- und Hinterhofbebauung zwischen 2 und 2,88 m tief ab Planum 1 (im Mittel bei 55 m NN) unterkellert. Mit wenigen Ausnahmen (z. B. Bef. 122, 123, 140) ist in diesem Bereich keine mittelalterliche archäologische Substanz erhalten. Weitere 13,8 % des Areals wiesen eine Unterkellerung von nur max. 1,70 m unter Planum 1 auf, die zwar ältere Befunde beeinträchtigte, jedoch nicht komplett störte.

Insgesamt wurden 385 Befunde und Befundkomplexe beobachtet und dokumentiert, von denen 32 keine Datierung zuließen, sich im Laufe der Untersuchung als ohne Befundcharakter oder moderne Störungen erwiesen. 204 Komplexe wiesen eine mittelalterliche Zeitstellung auf, von denen acht im Kontext der Stadtbefestigung zu sehen sind, die übrigen mit Kulturschichten, Pfostengruben, Siedlungsgruben, Kloaken, Brunnen sowie Bebauungsresten auf die Besiedlung und Nutzung des Areals während des Mittelalters zurückzuführen sind. Die 145 frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Befunde sind mehrheitlich der Parzellenbebauung auf den Grundstücken im Quartier Burgstraße/Roßmühle zuzuordnen.

Das Oberflächenniveau des ältesten erhaltenen Humushorizontes, identisch mit der Kulturschicht des 13./14. Jh. (Bef. 1, 199, 224), folgt dem Verlauf der Niederterrasse und steigt ausgehend von der Burgstraße bei 54,24 m NN auf 54,98 m NN an. Nach der Errichtung der Stadtmauer im 14. Jh. wurde die Fläche innerhalb der Befestigung begradigt. Die 0,18 bis 0,58 m mächtige Planierung (Bef. 3, 4, 180, 202) setzt an der Stadtmauer bei 55,09 m NN ein, fällt nach Westen auf 54,80 -54,90 m NN ab und bildete die Zäsur zwischen den Befunden bis ca. Mitte des 14. Jh. und jüngeren Strukturen. Die darüber liegende bis zu 0,80 m mächtige Kulturschicht (Bef. 5, 93, 203/204) ab dem ausgehenden 14. Jh. zeigt keine zäsurbildenden Veränderungen und ist in einem homogenen Ablagerungsprozess entstanden. Dieser oberste Horizont wurde bei der Flächenbereinigung nach dem zweiten Weltkrieg und beim rezenten Parkplatzbau auf einer Höhe von ca. 55,40 bis 55,10 m NN abgegraben.

Die Grabungsbefunde vom 12. – 19. Jahrhundert

Anhand der Grabungsergebnisse lassen sich fünf Phasen konstruieren, welche die Veränderungen während der Nutzung des Geländes veranschaulichen.

Phase 1 – das 12. bis frühes 13. Jahrhundert

Abb_4

Abb. 4 Ein verkohlter Balken stammt aus der Brandschicht über dem Nutzungshorizont im Grubenhaus

Die frühesten Besiedlungsspuren waren ausnahmslos auf dem ehemaligen Grundstück Roßmühle 2 zu finden, darunter die Reste eines Grubenhauses, eines Brunnens und einer möglichen Vorratsgrube.

Das Nord-Süd ausgerichtete Grubenhaus (Bef. 66/128) lag ca. 5 m westlich des heutigen Verlaufs der Roßmühle und wurde größtenteils durch einen frühneuzeitlichen Keller (Bef. 65) und auch Grubenbefunde des 13. und 14. Jh. gestört. Ursprünglich muss die Grube mindestens 4,12 m lang und 1,18 m breit gewesen sein. Sie war 1,1 m tief und zum Innenraum hin gestuft angelegt (bis 52,90 m NN). Eine 0,72 m x 0,67 m große, ovale Steinsetzung auf der Sohle im Nordosten der Hausgrube wurde als Feuerstelle genutzt. Von der obertägigen Hauskonstruktion, üblicherweise ein Pfostenbau mit Lehmwänden, konnte nur eine 0,20 m durchmessende Pfostengrube (Bef. 175) nachgewiesen werden. Das Gebäude ist einem Brand zum Opfer gefallen und wurde danach aufgelassen. Die Grubenverfüllung enthielt große Mengen an Brandlehm und Holzkohle, sowie die Reste eines verkohlten Balkens (Probe 1, Abb. 4). Die Funde aus dem lehmigen Nutzungshorizont (Bef. 128-2) des Grubenhauses, neben einem Bronzeblechfragment auch Scherben grauer und rot bemalter heller Irdenware, legen eine Datierung ins 12. Jh. nahe.

Abb_5

Abb. 5 Ein Brunnenschacht im äußeren Bereich der sehr groß angelegten Baugrube des Brunnens

Ca. 5 m nordwestlich des Grubenhauses lag ein ebenfalls ins 12. Jh. zu datierender Brunnen (Bef. 155, 156, 165, 170, 270, 280). In der 8,70 m x 5,50 m messenden ovalen Baugrube ist dezentral in der südlichen Hälfte ein 1,28 m x 1,05 m großer, ovaler und 3,41 m tiefer Brunnenschacht (Bef. 280, Abb. 5) erkennbar gewesen. Bei Anlage des Brunnens wurde die Baugrube gestuft angelegt. Während die südliche Wand der Grube steilschräg nach unter verlief, wurde der nördliche Teil der Baugrube bis 0,72 m an den Brunnenschacht heran nur 2,71 m (51,80 m NN) tief angelegt und erst dann der für den Schacht vorgesehene Bereich abgeteuft. Der Schacht reichte bis in eine Tiefe von 50,56 m NN, wobei Schwämmbänderung bis auf eine Höhe von 52 m NN nachweisbar war. In dieser Schicht (Bef. 280-8) fand sich unter anderem das Fragment einer Tüllenkanne aus helltoniger, rot bemalter Irdenware (Abb. 6), welche Ähnlichkeiten mit Vergleichstücken der Periode 6 und 7 der Pingsdorfer Keramik aufweist und demnach ins 12. Jh. datiert werden kann (Sanke 2002, 189f., Abb. 72, 73)[1]. Von der ehemals hölzernen Einfassung des Brunnenschachts war nur teilweise ein braunes Band vergangenen Holzes erhalten, das keine Rückschlüsse zur Konstruktion ermöglichte. Bezüglich der Tiefe und des nachweisbaren Wasserstands ergeben sich Vergleichsmöglichkeiten zu einem Brunnen in der Schmiedestraße, der ebenfalls eine Tiefe bis zu 50,60 m NN aufwies und um 1200 datiert wird (Plath 1950, 140).

Abb. 6: Tüllenkanne aus der Brunnenverfüllung, vmtl. rheinischer Import

Abb. 6: Tüllenkanne aus der Brunnenverfüllung, vmtl. rheinischer Import

Der Brunnen schneidet eine weitere groß dimensionierte halbkreisförmige Grube mit einer Flächengröße von 3,73 m x 2,68 m und mindestens 3,09 m Tiefe (51,43 m NN). Die Verfüllung bestand aus einem diffusen Gemisch der anstehenden Sande und dunkleren lehmig/humosen Sande aus bei der Anlage und Verfüllung beeinträchtigten Kulturschichten. Funde aus diesem Sediment, unter anderem pingsdorfartige, leider stark fragmentierte Keramik, deuten auf eine Datierung ins 12. Jh. Ein Brunnenschacht konnte nicht nachgewiesen werden, es bleibt also unklar zu welchem Zweck die Grube angelegt wurde.

Ein eingegrabenes Fass (Bef. 173) von 0,76 m Durchmesser und 1,20 m Tiefe wurde möglicherweise zur Vorratshaltung genutzt und wird von dem dendrodatierten Kellerkomplex 237 (siehe 2.2.2) des späten 12./frühen 13. Jh. überlagert.

Zusammenfassend belegen diese Befunde die Besiedlung des Areals im 12. Jh. und stellen eine Ergänzung zu den von Plath auf der gegenüberliegenden Seite der Roßmühle ergrabenen Strukturen dar, anhand derer er eine Verdichtung der Besiedlung am Übergang schon vom 11. zum 12. Jh. in diesem Bereich rekonstruiert (Plath 1961, 184ff.).

[1]           Nach Plath tritt aus dem Rheinland importierte Keramik bis zum Ende des 12. Jh. in Hannover auf und wird dann durch die regionalen Varianten aus Duingen verdrängt (Plath 1959, 25ff.).

Phase 2 – Anfang 13. bis frühes 14. Jahrhundert

Ende des 12./Anfang des 13. Jh. stand im hinteren Bereich der Grundstücke Roßmühle 3/4 ein leicht Nordost-Südwest ausgerichtetes Fachwerkgebäude (Komplex 237, Abb. 7), dessen abgebrannter Holzkeller zu den herausragenden Befunden der Grabung zählt. Unter den entnommenen Dendroproben der erhaltenen Holzreste ergab eine das Datum 1166+11, womit ein Errichtungszeitraum an der Wende vom 12. zum 13. Jh. als sicher anzunehmen ist. Der Innenraum war mit 9,02 m x 6,02 m überdurchschnittlich groß dimensioniert. Der Keller gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Schwellbalkengebäude, dessen Umgebinde zur Stabilisierung auf Pfosten/Ständern an den Langseiten ruhte. An der Nordwestwand wurden fünf, an der Südostwand vier dieser Pfostengruben (NW: Bef. 333, 370, 373, 376, 383; SO: Bef. 349, 359, 375, 379) mit einem Querschnitt zwischen 0,20 m x 0,12 m und 0,40 m x 0,37 m und einer erhaltenen Tiefe von bis zu 0,72 m nachgewiesen.

Abb. 7 der Grundriss des abgebrannten Kellers (Komplex 237), der nicht von der Stadtbefestigung überlagert wird

Abb. 7 (a) Der Grundriss des abgebrannten Kellers (Komplex 237), der nicht von der Stadtbefestigung überlagert wird.

In der Nordostecke bildete eine schräge, mindestens 2,58 m lange und 1,82 m breite Rampe (Bef. 169) den Zugang zum Keller. Sie überwindet einen Höhenunterschied von 1,54 m (nachweisbar von 54,64 m NN bis zur Kellersohle bei 53,10 m NN). Die Seitenwände (Bef. 275) sowohl der Rampe als auch des Kellerraumes bildeten senkrecht eingegrabene, zwischen 0,21 und 0,58 m breite Bohlen, die oberhalb der Kellersohle 0,52 m als verkohlte Hölzer, unterhalb bis zu 0,58 m als Spuren vergangenen Holzes erhalten waren. Der Kellerfußboden (Bef. 318) verlief in den östlichen zwei Dritteln des Kellers waagerecht und stieg weiter Richtung Westen um 0,06 m an. Er war mit Dielen ausgelegt, die teilweise verkohlt, teilweise auch als Bänder vergangenen Holzes nachgewiesen werden konnten.

Abb. 8 Zeichnung der in den Keller führenden Rampe (Bef. 169), die auf der Fotografie in der linken unteren Ecke noch erkennbar ist

Abb. 7 (b)  Die Zeichnung der in den Keller führenden Rampe (Bef. 169), die auf der Fotografie (Abb. 7) in der linken unteren Ecke noch erkennbar ist.

Hinweise auf die Nutzung als Lebensmittellager geben größere Ansammlungen von verkohltem Getreide im westlichen Teil des Kellers (Bef. 416, 341, Probe 11, 13, 15; Quadrant III und IV). Zwei zerscherbt „in situ“ gefundene Keramikgefäße (Einzelfund 12 und 13), ein hellgrün glasierter Spinnwirtel, glasierte Spielfiguren, u. a. ein Pferd sowie eine anthropomorphe Figur, eine Keramikmurmel, ein Ortband sowie ein vogelförmiger Fürspan[2] aus Bronze gehören neben der großen Anzahl an Keramikfragmenten und Nägeln zum Fundgut des im Keller aufliegenden Brandhorizontes (Bef. 284, 285; Abb. 8). Die glasierten Spielfiguren und der Spinnwirtel stehen in der technologischen Tradition der frühen glasierten Irdenwaren, die in Hannover vom 11. bis 14. Jh. auftreten und der regionalen Produktion entstammen können (vgl. Atzbach 2002, Anhang 3). Nach dem Brand verfüllte man die Kellergrube, welche mindestens Anfang des 14. Jh. noch als leichte Depression im nicht anderweitig genutzten Gelände vorhanden gewesen sein muss.

Abb_9

Abb. 8 (a) Eine vogelförmige Kragenschließe (Fürspan).

Östlich und südöstlich des Kellers dienten kastenförmige Gruben (Bef. 60, 146) zur Abfallentsorgung und möglicherweise ebenfalls als Kloake (Bef. 146). Der 1,91 m lange und 1,13 m breite Befund war noch auf 1,45 m Tiefe (52,53 m NN) erhalten. Die Grubenwände waren vermutlich mit Brettern ausgekleidet, die an den Ecken und der Mitte der Langseiten von Staken[1] stabilisiert wurden, aufgrund der schlechten Holzerhaltung konnten aber nur die Standspuren der Staken als Hohlräume dokumentiert werden. Die Verfüllung zeigte im unteren Bereich mehrere Bänder aus organischen Resten, bei denen es sich auch um Fäkalienablagerungen handeln kann. Am Boden der Grube lag ein komplett erhaltener Kugeltopf heller, pingsdorfartiger Irdenware, der am Boden einen leicht ausgeprägten Standring aufwies (Abb. 9). Chronologisch ist dessen Einordung, so es sich nicht um eine regional produzierte Variante handelt, aufgrund des gekehlten Randes und der Rillenzier auf dem Gefäßbauch noch in das 13. Jh. vorzunehmen (Pingsdorf Periode 9; Sanke 2002, 193, Abb. 77).

Abb. 10 Ein stark korrodierte Ortband (Beschlag am unteren Ende einer Schwert-Messerscheide) aus den Verfüllungen des Kellerkomplexes 237.

Abb. 8 (b)  Ein stark korrodierte Ortband (Beschlag
am unteren Ende einer Schwert-Messerscheide) aus den Verfüllungen des Kellerkomplexes 237.

Neben diesen eckigen Entsorgungsgruben treten auch runde Varianten auf. So handelt es sich beispielsweise bei Befund 178 aufgrund seiner stark mit organischem Material durchsetzten Verfüllung um eine Kloake, deren 0,78 m durchmessender und 1,38 m tiefer Schacht (53,2 m NN) an den Rändern und der Sohle Reste vergangenen Holzes erkennen ließ. Neben einem Kugeltopf, der ins 13. Jh. datiert werden kann, enthielt die Verfüllung ebenfalls eine grün glasierte Pferdefigur aus helltoniger Keramik.

Da der Brunnen 280 in dieser Periode aufgegeben worden ist, stellte sich die Frage der Trinkwasserversorgung während des 13. Jh. Unter dem (früh-)neuzeitlichen Gebäude- und Kellerfundament (105) des Grundstückes Burgstraße 33 wurde nach Ausbruch des Mauerwerks ein weiterer, in Aufbau und Größe zu Befund 280 analoger Brunnen (Bef. 122, 123, 140) freigelegt, der bis in eine Tiefe von 49,74 m NN reichte. Durch die Beschränkung der Grabungstätigkeit bis auf die maximale Baugrubentiefe von 52,08 m NN konnten leider keine Funde aus den Schichten des Nutzungszeitraums geborgen werden. Die Baugrubenverfüllung (Bef. 122) enthielt möglicherweise verlagerte Fragmente helltoniger bemalter Irdenware des 12./13. Jh., die muddigen Verfüllschichten des Brunnenschachts (Bef. 140) graue Irdenware des späten 13. und 14. Jh.

Abb. 9 (a) Der untere Bereich der Kloake mit den bräunlichen Fäkalienschichten.

Abb. 9 (a) Der untere Bereich der Kloake mit den bräunlichen Fäkalienschichten.

In diesem Zeitraum setzt auch die nachweisbare Nutzung der Parzellen Burgstraße 33 ein. Im vorderen Parzellenbereich verlief 4 m östlich des heutigen Straßenverlaufs ein 2,10 m breiter und 1,08 m tiefer Graben (52,29 m NN; Bef 158), erfasst ab der nördlichen Grabungsgrenze, parallel zur Burgstraße. Dieser mündete in eine rundliche, wannenförmige Grube (Bef. 8) von 5,63 m Durchmesser und 1,22 m Tiefe (52,32 m NN). Aufgrund der Zusammensetzung der Verfüllschichten ist bei beiden Befunden von längerfristigem Wasserstand auszugehen. Das umfangreiche Fundspektrum der Grube umfasst neben Fragmenten helltoniger rot bemalter Irdenware und einer Lübecker Kanne des 13. Jh. auch Scherben blaugrauer Irdenware des 14. Jh. Westlich, ca. 8 m von der Burgstraße entfernt wurde eine weitere großflächige Grube (Bef. 259) von mindestens 9,43 m Länge, 4,23 m Breite und 1,52 m Tiefe (52,56 m NN) beobachtet. Möglicherweise bestand eine Verbindung zu Befund 8, die aufgrund neuzeitlicher Störung jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. Auch aus dieser Grube wurde überdurchschnittlich viel Keramik des 13. und 14. Jh. sowie aus dem Sohlenbereich große Mengen an Tierknochen und Eisenschlacke geborgen. Unklar bleibt, in welchem funktionalen Kontext die großen Grubenbefunde auf dem Grundstück Burgstraße 33 entstanden sind, sicher ist, dass sie über längere Zeit zur Abfallentsorgung genutzt wurden. Die vor allem in Befund 259 konzentrierten, als Schicht (Bef. 274) auftretenden Ziegen-, Schweine- und Rinderknochen sowie größere Mengen an Eisenschlacke implizieren, wenn auch indirekt, handwerkliche Tätigkeit auf der Parzelle.

Abb. 9 (b) Ein intaktes Gefäß Pingsdorfer Machart aus der Verfüllung der Kloake geborgen.

Abb. 9 (b) Ein intaktes Gefäß Pingsdorfer Machart aus der Verfüllung der Kloake geborgen.

Der zweiten Phase können auch drei im Vergleich zu den anderen Befunden peripher gelegene Gruben unklarer Funktion (Bef. 340, 342, 34) im südwestlichen Teil der Fläche zugeordnet werden. Die Verortung an der östlichen Seite der Straße „Am Hohen Ufer“, ca. 10 m nördlich der Roßmühle ist ungewöhnlich, da das Areal deutlich (ca. 20 m) außerhalb des bisher rekonstruierten Altstadtgebietes liegt.

Die aus Altgrabungen im Umfeld – dem Ballhofplatz und den Grundstücken Burgstraße 41/42 (Büscher 1993, 102) – bekannte Siedlungsintensivierung im Laufe des 13. Jh. zeigte sich auch im Quartier Roßmühle/Burgstraße. Besonders der Kellerkomplex kann im Kontext der in der Stadtgeschichtsforschung konstruierten Lehnshofsiedlung gesehen werden. Die Größe des Kellers und auch das geborgene Fundmaterial, besonders der Spielfiguren, des Ortbands und der Kragenschließe, zeugen von einem gehobenen sozialen Standard der Bewohner Auch wenn, mit Ausnahme des Ortbands, eindeutig statusrelevante Funde fehlen, ist die Interpretation als Wohngebäude eines durch ministeriale oder niederadelige Burgmannen bewirtschafteten Lehnshofes nicht auszuschließen.

[1]              Dokumentiert wurden nur die nördlichen drei, an der Südseite konnten sie nicht beobachtet werden. Aus bautechnischer Sicht ist ein symmetrischer Aufbau der Holzkonstruktion aber wahrscheinlich.

[2]              Hierfür existiert ein Vergleichsfund aus Lüneburg (Stammler/Wullschläger 2010, 10f.).

Phase 3 – Mitte 14. bis Mitte 15. Jahrhundert

Abb. 10 Grün markiert sind die Elemente der Stadtbefestigung (Stadtmauer Befund 186, Turmfundamente Befunde 207, 208, 209), blau markiert sind die ehemaligen Zeughausfundamente (Befund 187).

Abb. 10 Grün markiert sind die Elemente der Stadtbefestigung (Stadtmauer Befund 186, Turmfundamente Befunde 207, 208, 209), blau markiert sind die ehemaligen Zeughausfundamente (Befund 187).

Ein kennzeichnendes Merkmal dieser Periode ist der Ausbau der Stadtbefestigung Hannovers (Abb. 10, 11). Auf ca. 8 m Länge wurde ein 1,75 bis 2,03 m breites und bis zu 1,45 m tiefes (54,12 bis 55,57 m NN), in Flucht der östlichen Zeughausmauer verlaufendes Fundament erfasst, die mittelalterliche Stadtmauer (Bef. 186). Der Fundamentkörper bestand aus zwei äußeren, unregelmäßig lagig gesetzten Schalen aus grob behauenen Kalk- und Sandsteinblöcken bis 0,46 m x 0,32 m x 0,18 m mit einem Kern aus deutlich kleinformatigeren Bruchsteinen. Zur Verzahnung der Schalen mit der Verfüllung wurden Binderblöcke von bis zu 0,76 m x 0,38 m x 0,32 m verbaut. Der ockergraue Kalk/Sandmörtel der Mauer war an den Außenseiten und auch im Kern teilweise stark ausgewaschen und nur von minderer Qualität. Sowohl Maße als auch Verlauf des Fundaments variieren stark. Auf dem sich nach oben verjüngenden Sockel lag noch eine bis 0,34 m hohe und 1,23 m breite Lage des Sichtmauerwerks der Stadtmauer aus großformatigen, sauberer zugearbeiteten Steinblöcken bis 0,94 m x 0,72 m x 0,34 m auf.

Die Stadtmauer ist, da sie in die Kulturschicht des frühen 14. Jh. über dem Holzkeller eingreift, in das fortgeschrittenere 14. Jh. zu datieren und sicher nicht identisch mit der 1241 erwähnten „munitio, que est inter castrum et civitatem posita“ (UB Hann, Nr. 11), also der zwischen Burg und Stadt gelegenen Befestigung. Vielmehr ist anzunehmen, dass die Mauer Teil des Befestigungsausbaus am Beginn des 14. Jh. war (Plath 1961, 209f).

Abb. 11 Die Stadtmauer (Bef. 186) mit angesetztem, südlichem Turmfundament (Bef. 207). Stadtmauer und Turmfundament greifen in die Kulturschicht des 13./14. Jh. (Bef. 167) als auch teilweise in die Rudimente des Kellerkomplexes 237 ein.

Abb. 11 Die Stadtmauer (Bef. 186) mit angesetztem, südlichem Turmfundament (Bef. 207). Stadtmauer und Turmfundament greifen in die Kulturschicht des 13./14. Jh. (Bef. 167) als auch teilweise in die Rudimente des Kellerkomplexes 237 ein.

Der Stadtmauer blendete man zu einem späteren Zeitpunkt an der Außenseite zwei deutlich massivere, sorgfältiger gesetzte und vermörtelte, 2,70/2,80 m lange, 1,30 bis 1,50 m breite und bis zu 2,40 m tiefe (bis 53,21 m NN) Blockfundamente (Bef. 206, 207, Abb. 10, 11) mit einem Abstand von 2,40 m orthogonal vor. An den Ansatzstellen zur Stadtmauer wurde diese zur Verzahnung des Mauerwerks teilweise ausgebrochen. Zusammen mit einem 0,70 m breiten Querriegel (Bef. 208) im Zwischenraum der Fundamente im Westen bildeten sie ein 5,30 m langes und 2,80 m breites geschlossenes Mauergeviert als Basis für einen an dieser Stelle rekonstruierbaren Turm der Stadtmauer. Vier im Abstand von 1,30 m zueinander quadratisch angeordnete Pfostengruben (Bef. 225, 227, 228, 229) 0,50 m westlich des Turmfundaments stehen nicht direkt in Verbindung zur Stadtbefestigung, können aber als Gerüstpfosten beim Bau des Turms interpretiert werden. Ca. 5 m vor der Stadtmauer bildete ein Spitzgraben von 11,57 m Breite und 3,50 m Tiefe (50,72 m NN) das Annäherungshindernis (Bef. 135). Die Erweiterung der bestehenden Stadtbefestigung wird erst nach der Erlaubnis zum Befestigungsausbau durch Herzog Wilhelm stattgefunden haben, die einer 1357 ausgestellten Urkunde zu entnehmen ist: „…dat se moghen use stad Honnovere vestenen, buwen unde beteren mid mürende unde mid gravende, wor den ratmannen darsulves dunket…“ (UB Hann, Nr. 369). In dem Quellentext ist aber weiterhin zu lesen, dass der Herzog dies an der der Burg Lauenrode zugewandten Seite untersagt. Damit bleibt die Frage, ob es sich bei diesen Strukturen um ein Zeichen städtischer Emanzipation gegenüber dem Landesherrn handelt, indem sich die Bürgerschaft über das Befestigungsverbot hinwegsetzte, oder ob Graben und Turm erst nach der Zerstörung Lauenrodes 1371 errichtet wurden. Die Funde aus der Humusschicht (Bef. 224) der stadtseitigen Grabenböschung, u. a. ein Hannoveraner Hohlpfennig von 1482, Musketenkugeln und Keramikfragmente des 14. und 15. Jh. sind für die Datierung des Stadtbefestigungsausbaus wenig aussagekräftig und liefern nur einen groben terminus ante quem des Nutzungszeitraums.

Abb. 12 Kugeltopf in situ in der Kloakengrube, rechts nach der Bergung und Reinigung.

Abb. 12 (a) Kugeltopf in situ in der Kloakengrube.

Neben den Stadtbefestigungsbefunden waren sowohl für das 14.Jh. als auch den Beginn des 15. Jh. weiterhin meist der Abfallentsorgung dienende Befunde (Bef. 76, 77, 78, 141, 290/291) erkennbar. Noch ins 14. Jh. ist die Kloakengrube 141 zu datieren, die im hinteren Parzellenbereich an der Grenze der Grundstücke Roßmühle 2 und 3 lag. Ihr runder, ehemals mit Holz ausgekleideter Schacht mit einem maximalen Durchmesser von 0,90 m war im oberen Teil nach innen verdrückt und hatte eine erhaltene Tiefe von 1,58 m (52,29 m NN). Über einer Lage aus Bruchsteinen im Sohlenbereich bargen die noch 0,48 m mächtig erhaltenen Fäkalienschichten Fragmente Siegburger Steinzeugs, einen vollständig erhaltenen Kugeltopf (Abb. 12) sowie die Knochen mehrere Katzenskelette.

Die darüber liegenden, stark mit Kalk angereicherten Verfüllschichten könnten am Ende der Nutzung der Kloake zur Neutralisierung eingebracht worden sein. Weitere Abfallgruben auf dieser Parzelle, die im Verlauf des 15. Jh. angelegt und genutzt wurden (Bef. 76, 77 und 78), unterscheiden sich sowohl im Aufbau als auch in der Größe von den älteren Strukturen gleicher Nutzung. Sie waren ausschließlich rechteckig ausgehoben, im Flächenmaß bis zu 3,17 m x 2,91 m groß (Bef. 78) und erreichten Tiefen bis zu 2,73 m (Bef. 77, bis 52,70 m NN). Reste eines Holzeinbaus wurden in keinem Fall nachgewiesen, sind aber aufgrund der steilen Wandverläufe im wenig stabilen, anstehenden Sand sehr wahrscheinlich.

Abb. 12 (b) Der Kugeltopf aus der Kloakegrube nach der Bergung und Reinigung.

Abb. 12 (b) Der Kugeltopf aus der Kloakegrube nach der Bergung und Reinigung.

An der nördlichen Grabungsgrenze, 12 m westlich der Burgstraße, wurde ein weiterer Brunnen (Bef. 327) mit quadratischem Schacht von 0,60 m Seitenlängen und einer Tiefe von 3,28 m (50,64 m NN) untersucht. Die runde, sich nach unten verjüngende Baugrube hatte einen Durchmesser von 2,60 m. Wie bei den anderen ergrabenen Brunnen, konnte aufgrund der schlechten Holzerhaltung eine Schachtkonstruktion zwar nachgewiesen werde, ohne aber Rückschlüsse auf die Konstruktion zuzulassen. Die dunkelgraubraune, feinsandige Verfüllung des Schachtes bei 52,14 m NN war durchzogen von muddigen, schwarzgrauen Bändern und enthielt Fragmente grauer Irdenware des 14./15. Jh.

Das Umfeld des Brunnens dominiert ein Konglomerat verschiedenster Grubenbefunde (Bef. 290-296), denen weitestgehend keine bestimmte Funktion zugeordnet werden kann, die aber ebenfalls im 14. und frühen 15. Jh. angelegt und genutzt wurden. Unter diesen sticht eine Grube (Bef. 291) aufgrund ihrer ungewöhnlichen Konstruktion hervor. Die rundliche, 0,96 m durchmessende und 1,22 m tiefe (52,86 m NN) Grube wies sowohl an den Wandungen als auch an der Sohle Reste vergangenen Holzes einer möglichen fassartigen Konstruk­tion auf. Unterhalb dieser Schicht wurden zwei weitere, kleinere, 0,42 m und 0,5 m durchmessende und je 0,28 m tiefe Fässchen beobachtet. Unklar bleibt, zu welchem Zweck sie angelegt wurden. Die Verfüllung enthielt nur wenige Fragmente grauer Irdenware und liefert keine Anhaltspunkte zur Funktion der Grube.

Klar ins späte 14 Jh./frühe 15. Jh. zu datierende Gebäudestrukturen, etwa vergleichbar mit dem Kellerkomplex 237 oder auch Steinbauten, fehlen, sind aber aufgrund der weiterhin intensiven Nutzung anzunehmen und wurden möglicherweise später überbaut.

Phase 4 – Mitte 15. bis Mitte 17. Jahrhundert

Die Steinbebauung des Grundstücks zwischen Roßmühle und Burgstraße verläuft, wenig überraschend, in den Grenzen der für spätestens 1428 rekonstruierbaren Neuparzellierung.

Die in den folgenden Abschnitten beschriebene Steinbebauung wurde durchgängig bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg genutzt. Die stratigraphische Einbindung der Fundamente liefert keinen aussagekräftigen Datierungsansatz, da alle Mauern in die Kulturschicht der Zeit vor und um 1400 eintiefen, die innerhalb der Stadtmauer direkt unter der rezenten Park­platzoberfläche anstand. Eine Einordnung erfolgt daher anhand bauhistorischer Kriterien wie verwendeter Ziegelformate, die im 15. und 16. Jh. stark variieren (vgl. Tabelle 1; Atzbach 1994, 5.3.2), und in wenigen Fällen anhand aussagekräftiger, stratifizierter Funde.

Fundort

Datierung

Format ( in cm)

Georgskirche II

zweite Hälfte 13. Jh. 28,5 x 13 x 7,8

Georgskirche III

1290-1340

26 x 12 x 8,5

Rathaus-Marktstr.flügel

1453/55

27,5 x 13 x 6,5-8,0

Grabgewölbe St. Ägidien

16.-18. Jh.

27 x 14 x 7

Grabgewölbe St. Georg

16.-18. Jh.

24,5 x 13 x 7

Tab. 1 Vergleichsgrößen verwendeter Ziegelformate aus Hannover (Atzbach 1994, 5.3.2)

 Die „Burgstraße 33“

Das Grundstück war im straßennahen Teil nur an der Nordseite bebaut und unterkellert (Bef. 238, 239, 240, 242). Der Fußboden des mindestens 10,50 m langen und im Innenraum 4,30 m breiten Kellers lag bei 53,26 m NN und war durch ein Rollsteinpflaster befestigt. An den bis zu 1 m breiten Kalksteinmauern setzt ab 1,70 m über der Kellersohle ein Tonnengewölbe aus Ziegeln an. Die Planierschicht unter dem Rollsteinpflaster und Teilen der Nordwand enthielt grün glasierte Ofenkacheln des 16. Jh. und liefert einen groben terminus post quem für das Gebäude, auch wenn die im Gewölbe verwendeten Ziegel (27 cm x 13 cm x 8 cm) eher Formaten des späten 15. Jh. entsprechen. Der 6,80 m breite südliche Teil bis zur Parzellengrenze war nicht unterkellert. Auf einem Gemälde des 1581 auf dem Nachbargrundstück errichteten Fachwerkhauses (siehe 2.2.4.2, Abb. 13) ist auf der Parzelle ein traufständiges Gebäude erkennbar, dem die nur fragmentarisch erhaltenen Natursteinfundamente auf dem südlichen Grundstücksteil (Bef. 6, 9, 107, 108, 151) zugeordnet werden können. Genauer zeitlich einordnen lassen sie sich nicht.

Die „Burgstraße 34“

Abb. 13 Links das Gemälde des 1581 errichteten, ratseigenen Gebäudes (17. Jh., Quelle: NLD) .

Abb. 13 (a) Das Gemälde des 1581 errichteten, ratseigenen Gebäudes (17. Jh., Quelle: NLD) .

Die gesamte Fläche des Grundstücks Burgstraße 34 wurde von einem stark binnengegliederten und weitestgehend symmetrisch aufgebauten Backsteinkomplex (Bef. 20-51) eingenommen, dessen Kellersohle bei 53,06 m NN ca. 2,60 m unter GOK lag und bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Keller des 1581 errichteten, ratseigenen Fachwerkbaus handelte (Abb. 13 ). Das relativ einheitlich verwendete Ziegelformat von 27 cm x 13 cm x 6 cm entspricht mit leichter Abweichung im Altstädter Rathaus verbauten Ziegeln. Der Kellerkomplex überprägt alle älteren Baustrukturen, neben einer an der nördlichen Grundstücksgrenze rechtwinklig zur Burgstraße verlaufenden, 7,40 m langen, 1 m breiten und 1,77 m tiefen (52,78 m NN), nicht näher datierbaren Kalksteinmauer auch Teile eines älteren rechteckigen Steinkellers (Bef. 120, 121). Grünglasierte Blattnapfkachelfragmente, darunter auch solche mit dem Schriftzug „Hans Bermann 1558“, aus der Verfüllung dieses Kellers gehörten wohl zu Kachelöfen dieser Vorbebauung.

Die „Roßmühle 1“

Abb. 13 (b) Die ausgegrabenen Fundamente des ratseigenen Gebäudes.

Abb. 13 (b) Die ausgegrabenen Fundamente des ratseigenen Gebäudes.

Der in Längsrichtung zweigeteilte Keller dieses Grundstücks (Bef. 32, 52, 53, 54, 57, 103, 118, 119) wurde auf 13,70 m Länge (ca. 15 m ausgehend vom rezenten Roßmühlenverlauf) erfasst und erstreckte sich auf ganzer Parzellenbreite (7,60 m). Die älteren, 0,50 m breiten Mauern des Fundaments, bildeten in unregelmäßigem Mischverband aus, teilweise großformatigen (bis 0,60 m Länge) an den Flachseiten gepickte, mehrheitlich aber kleinformatige Kalksteinen. Ca. 1 m über der Kellersohle (bei 53,03 m NN, ca. 2,60 m unter GOK) setzt auf diese bis 1 m breites Ziegelmauerwerk mit Formaten von 28 x 14 x 8 cm auf. Der jüngere Ziegelverband ist in der Ostwand nicht vom Mauerwerk des ratseigenen Hauses von 1581 zu trennen und kann als zeitgleich angenommen werden. Der Errichtungszeitraum der älteren Fundamente ist nicht genauer eingrenzbar.

Die „Roßmühle 2“

Von den Kellerfundamenten des traufständigen Fachwerkhauses auf dem Grundstück Roßmühle 2 waren nur ein 1,35 m langes und 0,37 m breites Stück Kalksteinmauer (Bef. 61) an der westlichen Parzellengrenze (Bef. 88, 89) sowie Teile eines noch mindestens 0,90 m (52,9 m NN) unter die Kellersohle eintiefenden, innen 1,70 m breiten Vorratskellers (Bef. 88) teilweise erhalten. Die übrigen Fundamente wurden nach dem zweiten Weltkrieg ausgebrochen und mit Schutt verfüllt. Anhand der Größe der Ausbruchsgrube (Bef. 65) lässt sich eine ungefähre Gebäudebreite von 5 m ermitteln. Die Baugrube von Befund 88 enthielt eine Steinzeugscherbe des ausgehenden 14. oder frühen 15. Jh. Diese kann aber auch verlagert und damit für die Datierung nicht aussagekräftig sein. Ein im Hinterhof gelegener Kalksteinkeller (Bef. 82) mit Innenmaßen von 2,30 m x 1,45 m, einer Wandstärke von 0,30 m und einer Tiefe von 0,82 m (54,61 m NN) wurde bis ins 20. Jh. als Abfallgrube genutzt.

Die „Roßmühle 3“

Die jüngere der beiden Kellerphasen auf diesem Grundstück wurde nur teilweise erfasst. Das Ziegelformat (25,5 cm x 12,5 cm x 6 cm) des im Innenmaß 4,80 m breiten und unter GOK 1,85 m (53,88 m NN) tiefen Backsteinkellers lässt eine grobe Datierung ins 17. Jh. zu. Von diesem wurde ein 1 m breiter Durchgang in den älteren Kalksteinkeller gebrochen. Die Tiefen beider Keller waren identisch. Die ältere, nicht näher datierbare Phase hatte Innenmaße von 4,95 m x 3,50 m und lag quer zur Parzelle. Das zweischalige aus bis 0,60 m x 0,50 m großen Werksteinen mit teilweise gepickter Oberfläche gesetzte Mauerwerk hatte Wandstärken von 0,50 m. An der Nordseite war der Ansatz eines Tonnengewölbes erkennbar.

Die „Roßmühle 4“

Zur straßenseitigen Wohnbebauung dieser Parzelle lassen sich keine Aussagen treffen, da nur die hinteren 8 m in der Grabungsfläche lagen. Der größerer der beiden Keller (Bef. 154; 7,80 m x 3,80 m) lag quer zum Parzellenverlauf an der nördlichen Grenze und setzte gegen das Fundament der Stadtmauer. Der unregelmäßig lagige Kalksteinverband wies vereinzelt Ziegelflickungen mit verwendeten Formaten von 26 cm x 12 cm x 8 cm und 0,26 cm x 13 cm x 6 cm auf. Die Fundamente reichten mit einer Maximaltiefe von ca. 1,70 m unter GOK (53,94 m NN) noch tiefer als die Bausubstanz der Stadtmauer und brachen diese teilweise aus, werden somit erst im Verlauf des 17. Jh. entstanden sein.

Phase 5 – ab Mitte 17. Jh.

Ab 1632 erfolgte der Ausbau der Stadtbefestigung Hannovers nach niederländischer Manier (Mlynek/Röhrbein 2009, 585). Mit der Neubefestigung ließ 1643 Herzog Christian Ludwig zu Braunschweig und Lüneburg am Hohen Ufer das große Zeughaus errichten. Die Kalksandsteinfundamente des 1886 wieder abgebrochenen Nordteils des Zeughauses (Bef. 187, Abb. 10) verliefen in Teilen – die Nordwand auf 16,90 m und ein Teil der Westwand auf 5,40 m – innerhalb der Grabungsfläche. An seiner Westseite war der Bau 3,80 m breit und 3,20 m tief (52,12 m NN) unterkellert. Die Stärke des westlichen Zeughausfundaments betrug bis zum Gewölbeansatz 2,42 m, während das darüber aufgehende Mauerwerk im Querschnitt 2 m maß. Im Norden der östlichen, 1,20 m breiten Kellerwand befand sich eine 1,20 m lange und 1 m breite Nische, deren Verlauf die Wand folgte und die als möglicher Zugang zum Keller zu interpretieren ist. An der Nordseite führte eine 2 m breite Schütte im Winkel von 30° in den Kellerraum. Der Fußboden des Kellers war mit Stampflehm befestigt (Bef. 287). An der Nordostecke setzte das hier 1,30 m breite Fundament rechtwinklig gegen die bestehenden Mauerelemente der mittelalterlichen Stadtbefestigung und brach nach Südosten dem Stadtmauerverlauf folgend um.

Abb. 13 Der 1643 schon verfüllte Stadtgraben (Bef. 235).

Abb. 13 Der 1643 schon verfüllte Stadtgraben (Bef. 235).

Ob Stadtmauer und Turm zum Baubeginn des Zeughauses noch standen oder vorher schon abgetragen worden waren, entzieht sich unserer Kenntnis. Sicher ist, dass der Stadtgraben 1643 schon verfüllt gewesen ist, da die Zeughausfundamente in den Graben und seine Verfüllschichten eingreifen. Das in den Graben eingebrachte Material (Bef. 233, 234, 313, 321-323, Abb. 13) bestand aus komprimierten, teils humosen, lehmigen Sandschichten, die unterschiedlich stark mit teils grobklastischen Brandlehmbrocken und Kalksteinbruch durchsetzt waren, sowie Holzkohle und Mörtelbeimengungen aufwiesen. Im Schichtverlauf – innerhalb des Grabens nach Südosten abfallend – lässt sich die Arbeitsrichtung bei der Verfüllung rekonstruieren. Die Auffüllung des Stadtgrabens erfolgte von Nordwesten, wobei man die in diesem Zeitraum ebenfalls verbreiterte Terrasse (Bef. 51-57) zwischen der Leine und der Stadtbefestigung als Transportweg nutzen konnte.

Im Hinterhofbereich der Parzellen Roßmühle 1 und 3 fielen daneben vor allem die zwei kleineren Keller (Bef. 134, 139) mit Grundflächen unter 9 m2 durch ihre Konstruktion auf. Diese sind nicht aus Ziegeln oder groben Kalksteinen aufgebaut, sondern bestehen überwiegend aus großformatigen, sorgfältig behauenen Sandsteinquadern und -platten. Aus wirtschaftlicher Sicht ist die Anschaffung solch kostspieligen Baumaterials für eine nichtrepräsentative Hinterhofbebauung unwahrscheinlich. Möglicherweise ist im Abbruch des nördlichen Teils des Zeughauses 1886 eine deutlich kostengünstigere Bezugsquelle zu sehen.

Abb. 14 Einer der kleineren Keller (Bef. 139) auf Parzelle Roßmühle 3 mit vermutlichen Spolien aus dem rückgebauten Zeughaus an der Nordwand.

Abb. 14  Einer der kleineren Keller (Bef. 139) auf Parzelle Roßmühle 3 mit vermutlichen Spolien
aus dem rückgebauten Zeughaus an der Nordwand.

Der jüngste, noch bis ins 19. Jh. genutzte Brunnen (Bef. 266) lag auf dem unbebauten südlichen Parzellenteil Burgstraße 33, 12 m von der Burgstraße entfernt. Die Schachtkonstruktion baute sich aus Kalksteinbogenelementen auf, die je fünf Ringe von 0,50 und 0,40 m Höhe bildeten. Er wurde nur bis zur maximalen Eingriffstiefe der Baugrube dokumentiert, reichte aber noch mindestens bis in eine Tiefe von 50,50 m NN.

Auf dem hinteren Teil der Parzelle Burgstraße 33, ab 16,50 m südwestlich der Burgstraße und noch über die Stadtmauer hinaus, überprägten gründerzeitliche Kellerkomplexe den Großteil der Fläche (Bef. 185, 248, 281, 358), so dass zur Bebauung vor 1872 als auch etwaigen Erdbefunden in diesem Bereich keine Aussagen mehr möglich waren.

Zusammenfassung

Die während der Ausgrabung gewonnenen Erkenntnisse veranschaulichen die Veränderungen während der Entstehung und Entwicklung Hannovers. Die untersuchten Befunde deuten auf eine Nutzung des Geländes erst ab dem 12. Jh., verstärkt aber, zeitgleich mit der Errichtung der Burg Lauenrode, ab dem 13. Jahrhundert. Auch wenn die Lehnshöfe im Umfeld des Gallhofes vor allem wegen der ihnen zugewiesenen Funktion in der jüngeren Forschung kritisch betrachtet werden und nur die Grundstücksrekonstruktion auf Basis des Haus- und Verlassungsbuches Indizien hierfür liefert, kann der abgebrannte Holzkeller durchaus als zu einem Lehnshof gehörige Wohnbebauung interpretiert werden.

Die im frühen 14. Jh. errichtete Stadtbefestigung, erst eine einfache Mauer, gegen Ende des Jahrhunderts um einen Turm und den Stadtgraben erweitert, lässt weiterhin Fragen offen. Für die ältere Befestigung des 13. Jh., welche durch die Schriftquellen angedeutet wurden, fehlten Belege im untersuchten Bereich. Vermutlich an der Burgstraße errichtete Wohnbebauung des 14. und frühen 15. Jahrhunderts konnte nicht nachgewiesen werden. Ungeachtet dessen sind funktionale und infrastrukturelle Befunde wie Abfallgruben und Brunnen weiterhin auf der Fläche präsent. Die Kellerfundamente des 16. bis 18. Jahrhunderts zeichnen deutlich die sicher für das Jahr 1686 rekonstruierten, langschmalen Grundstücksgrenzen nach. Mit dem Ausbau der Stadtbefestigung im Bastionärsprinzip ebenfalls im 17. Jh. verlor auch die mittelalterliche Stadtbefestigung ihre Funktion. Teilweise wurde diese von dem 1643 errichteten Zeughausgebäude überbaut. Auch der Stadtgraben wurde verfüllt und die Uferterrasse zur Leine verbreitert. Die damit aufgehobene Beschränkung der Flächennutzung auf das innerhalb der mittelalterlichen Befestigung gelegene Stadtgebiet zeigt sich im Befundbild erst spät, mit den gründerzeitlichen Kellerkomplexen auf dem Grundstück Burgstr. 33 auch noch westlich der ehemaligen Stadtmauer. Der letzte, tragischste Einschnitt wird durch den Zerstörungshorizont des zweiten Weltkriegs gebildet, aus dem als Kuriosum auch ein erhaltenes Einmachglas mit Bohnen geborgen werden konnte.

Weitere Artikel zur Ausgrabung „Am Hohen Ufer“:

Hannovers Stadtbefestigung an der Roßmühle

Pressemitteilung zur Ausgrabung:

Ein Zeitfenster in die Stadtgeschichte von Hannover (HAZ vom 27.12.14)

Archäologen legen Hannovers Stadtmauer frei (HAZ vom 01.11.2013)

Quellen

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MGH SS IV, Thangmar, Miracula Sancti Bernwardi.

MGH SS XVI, VIII, Annales Stederburgenses, MGH SS XVI.

UB Hann: C. L. Grotefend, G. F. Fiedeler (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Hannover (Aalen 1860).

 Literatur

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