Abbildung_2_web Der hochmittelalterliche Landesausbau in der Prignitz (Kurzfassung) Autorin: Ch. Kunze

Der hochmittelalterliche Landesausbau war nach W. Schlesinger Teil eines gesamteuropäischen Prozesses, der nicht nur die Neuerschließung vorher unbesiedelter Räume, sondern auch die Umformung und Verdichtung des vorhandenen slawischen Siedlungsnetzes umfasste (Fritze 1984, 193; Gringmuth-Dallmer 1983, 42). Er beinhaltete neben der Umstrukturierung einer bestehenden Kulturlandschaft vor allem die Änderung der Wirtschafts-, Rechts- und Herrschaftsstrukturen als Grundlage für die spätmittelalterliche Siedlungsentwicklung. Dieser Prozess war in den letzten Jahren Gegenstand verschiedener regionaler Analysen in Brandenburg (Henker/Schöfbeck/Weiß 2008; Kirsch 2004; Schich 1987), in die sich diese Untersuchung einreiht.

Das Untersuchungsgebiet umfasst eine Landschaft, die 1349 erstmalig als Prygnitz Erwähnung findet (Enders 2000, 136). Im Nordwesten Brandenburgs gelegen, wird sie nördlich und westlich von Mecklenburg, südlich – jenseits des Elbeurstromtales – vom Hannoverschen Wendland und der Altmark sowie östlich vom Ländchen Ruppin begrenzt. Mehrere kleine Flüsse durchziehen den Landstrich in nord-südlicher Richtung und entwässern in die Elbe oder Havel. Entlang dieser Gewässer konzentrierte sich größtenteils die spätslawische Besiedlung. Mit dem Wendenkreuzug im Jahr 1147 fand die Periode der slawischen Souverenität auch in diesem Gebiet ihr Ende. Dieser folgenreiche Umschwung zog nicht nur einen grundlegend politischen Wandel nach sich, sondern auch die Neuaufteilung dieser Landschaft. Das Gebiet zwischen Elbe, Elde, Havel und Dosse wurde in elf Bezirke aufgegliedert – die sogenannten terrae – und von verschiedenen Herrschaftsträgern (die Edlen Gans, die Herren von Plotho, der Markgraf von Brandenburg und der Bischof von Havelberg) in Besitz genommen (Luck 1917, 119ff.).

Diese recht eigene Entwicklung der Prignitz mitsamt der Entstehung von kleinen unabhängigen Adelsherrschaften warf unter anderem die Frage auf, inwieweit sich die eigene Siedlungspolitik der jeweiligen Territorialherren im Siedlungsmuster der einzelnen terrae widerspiegelt und somit die Landschaft der Prignitz nachhaltig prägte. Um die im ländlichen Raum ablaufenden Prozesse während der Zeit des hochmittelalterlichen Landesausbaus genauer erfassen zu können, war neben den archäologischen Quellen die Einbeziehung onomastischer, siedlungsgeographischer und historischer Quellen unumgänglich. Dabei stand die Dorfentwicklung innerhalb der einzelnen terrae und ihr Verhältnis zur slawischen Vorbesiedlung anhand archäologischer Dorfkernuntersuchungen im Vordergrund.

Anhand zweier terrae soll die unterschiedliche Aufsiedlung der Teillandschaften in Abhängigkeit von Naturraum, von der Dichte der spätslawischen Vorbesiedlung sowie der unterschiedlichen Territorialherren – exemplarisch für die Gesamtanalyse – erläutert werden.

Die terra Perleberg, im Westen des Untersuchungsgebietes gelegen, gehörte ursprünglich zum Machtbereich der Edlen Gans und war im Gegensatz zur terra Pritzwalk, die sich nordöstlich anschließt, recht dicht in slawischer Zeit besiedelt. Ausschlaggebend dafür waren die unterschiedlichen naturräumlichen Voraussetzungen, vor allem die schweren Böden der Grund- und Endmoränenlandschaft, die das Gesicht der terra Pritzwalk prägen, wurden in slawischer Zeit weitgehend gemieden. Die Rodung der größtenteils bewaldeten Fläche und die planvolle Aufsiedlung dieses Gebietes erfolgte erst unter den Markgrafen von Brandenburg.

Der Vergleich der Dorfentwicklung beider terrae zeigte deutlich, in welch hohem Maße der hochmittelalterliche Landesausbau von naturräumlichen und politischen (territorialherrlichen) Faktoren, aber auch stark von der slawischen Vorbesiedlung abhängig war. Innerhalb der terra Perleberg spiegelt sich dies in einem differenziert verlaufenden Prozess der Dorfgründungen wider, die mit Siedlungskonzentrationen und teilweise mehrfachen Siedlungsverlagerungen einhergingen. Dabei wurde die slawische Bevölkerung offensichtlich aktiv mit einbezogen, das zeigt sich auch an der großen Anzahl primärer slawischer Siedlungsnamen. Naturräumlich weniger attraktive und daher von den Slawen gemiedene Gebiete zeigen demgegenüber ein anderes Bild mit Gründungen aus „wilder Wurzel“. In der terra Pritzwalk verlief dieser Prozess offenbar ganz anders. Hier existierte kaum eine slawische Vorbesiedlung, die auf die Dorfentwicklung Einfluß hätte ausüben können. Die einheitlichen Herrschaftsstrukturen konnten sich hier voll ausbilden, was zu einer geschlossenen planvollen Aufsiedlung des Gebietes führte. Diese Einheitlichkeit zeigt sich nicht nur in der Dominanz deutscher Ortsnamen, sondern auch in den großzügig angelegten Planformen von Anger- und Straßendorf mit regelmäßiger Gewann- oder Hufengewannflur. Lediglich die Stadt Pritzwalk ist in unmittelbarer Nachbarschaft einer slawischen Ansiedlung gegründet worden. Augenscheinlich wurde hier bewußt die Nähe zu slawischen Siedlungsen gesucht. Wahrscheinlich gaben dabei die Nutzung des schon vorhandenen Offenlandes sowie die verkehrsgünstige Lage den Ausschlag.

Mit Hilfe der Kombination der verfügbaren archäologischen, onomastischen, hiostorischen und siedlungsgeographischen Quellen konnten deutliche Unterschiede und Abhängigkeiten von verschiedenen Faktoren im Landesausbau aufgezeigt werden, obwohl viele Fragen im Detail offen bleiben mussten. Es bleibt zu wünschen, dass sich diese Quellenlage weiter verbessert und neue Erkenntnisse bezüglich des hochmittelalterlichen Landesausbaus ermöglicht.

Zitierte Literatur: L. Enders, Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert. Veröff. Brandenburg. Landeshauptarchiv 38 (Potsdam 2000); W. H. Fritze, Die Begegnung von deutschem und slawischem Ethnikum im Bereich der hochmittelalterlichen Ostsiedlung. Siedlungsforschung 2, 1984, 187-219; E. Gringmuth-Dallmer, Die Entwicklung der frühgeschichtlichen Kulturlandschaft auf dem Territorium der DDR unter besonderer Berücksichtigung der Siedlungsgebiete. Schr. Ur- u. Frühgesch. 35 (Berlin 1983); J. Henker, T. Schöfbeck u. U. Weiß, Slawen und Deutsche im Hochmittelalter östlich der Elbe. Archäologisch-historische Studien zur Siedlungsentwicklung. Studien zur Archäologie 8 (Bonn 2008); K. Kirsch, Slawen und Deutsche in der Uckermark. Vergleichende Untersuchungen zur Siedlungsentwicklung vom 11. bis zum 14. Jahrhundert (Stuttgart 2004); W. Luck, Die Prignitz, ihre Besitzverhältnisse vom 12. bis zum 15. Jahrhundert (München 1917); W. Schich, Das Verhältnis der frühmittelalterlich-slawischen zur hochmittelalterlichen Siedlung im Havelland. In: W. Ribbe (Hrsg.), Das Havelland im Mittelalter. Berliner Hist. Stud. 13. Germania Slavica V (Berlin 1987) 177-245.